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"Jetzt geht es darum, Bereiche abzuklopfen, in denen sich Holz für völlig neue Verwendungs-möglichkeiten anbietet"

18.02.2020
Dirk Alfter

Erstmals im Rahmen des Sägewerkskongresses veranstaltet der DeSH die Zukunftswerkstatt, eine Innovationsplattform der Forst- und Holzindustrie. Das Konzept entstand im Rahmen des Dialogprozesses der Charta für Holz 2.0 des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) und der Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe (FNR). Im Vorabinterview stellt Dirk Alfter aus dem BMEL-Referat Nachhaltige Waldbewirtschaftung/ Holzmarkt die Grundsätze und Aktivitäten der Charta vor und spricht über die Chancen und Herausforderungen von Holz in der Bioökonomie.

Dirk Alfter (Jahrgang 1964) hat Forstwissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg studiert und absolvierte sein Referendariat in Rheinland-Pfalz. Alfter war seitdem in verschiedensten Funktionen bei Organisationen der deutschen Forstwirtschaft und Holzwirtschaft und in deren Gremien tätig. 2011 wechselte er in das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Im Referat Nationale Waldpolitik und Jagd war er u.a. mit der Konzeption der Waldstrategie 2020 der Bundesregierung und der Implementierung des Waldklimafonds befasst. Mit seinem Wechsel in das Referat Nachhaltige Waldbewirtschaftung/ Holzmarkt 2015 rückten die Fragen der Verwendung von Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft unter anderem im Kontext der Zielsetzungen des Klimaschutzplan 2050 in den Vordergrund. Seit November 2016 bildet die gemeinsam mit Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Ländern konzipierte "Charta für Holz 2.0" und deren Umsetzung in einem breiten Dialogprozess einen wesentlichen Arbeitsschwerpunkt.

Herr Alfter, 2017 stellte das BMEL die Charta für Holz 2.0 vor. Im Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung wird sie als "Meilenstein" benannt. Wie ist der Cluster in diese große Aufgabe gestartet? An welcher Wegmarke steht er aktuell?

Die großen Aufgaben Klimaschutz, Ressourcenschonung und der Erhalt der Wertschöpfung lassen sich nur gemeinsam und in der Gesamtschau lösen. Die Charta für Holz ist daher als Dialogprozess angelegt, bei dem der Kompetenz-Mix aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung und das Engagement der Akteure aus den verschiedenen Bereichen ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist. Aus dem Dialogprozess werden wichtige Impulse für das Cluster selbst, für die Vernetzung und den Wissenstransfer, für eine zielgerichtete Förderung und Forschung und natürlich auch für eine praxisorientierte Politikberatung generiert. Wir erleben in den letzten Monaten, dass das Bauen mit Holz als Beitrag zum Klimaschutz einen hohen Stellenwert in Politik und Gesellschaft erlangt. Jetzt gilt es, das Thema gemeinsam in die Breite zu bringen. Mit dem Klimapaket habe wir hier eine wichtige Wegmarke erreicht, in deren Kontext wir Mittel für den Bereich der innovativen Holzverwendung einplanen konnten. Das Bauen mit Holz ist hier ein Schwerpunkt. Daneben werden wir uns verstärkt mit den Fragen der Kreislaufwirtschaft und Kaskadennutzung und stofflichen Verwertung von Laubholz befassen. Die letztgenannten Themen haben gerade angesichts der Schäden im Wald in Bezug auf die künftige Ressourcenverfügbarkeit und -verwendung eine besondere Relevanz erhalten. Wichtige Wegweiser für die Charta sind darüber hinaus die Anfang Januar im Bundeskabinett verabschiedete Nationale Bioökonomiestrategie, das anstehende Ressourceneffizienzprogramm III der Bundesregierung und nicht zuletzt auch der Green Deal der EU-Kommission. Hier gilt es, sich mit den konkreten Herausforderungen und Chancen für Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft auseinanderzusetzen.

Die erste Charta für Holz aus dem Jahr 2004 beabsichtigte, den Holzverbrauch pro Einwohner innerhalb von zehn Jahren um 20 Prozent zu steigern. Diese Marke wurde frühzeitig erreicht. Ist die Zielsetzung der Neuauflage – der Dreiklang aus Klimaschutz, Wertschöpfung, Ressourceneffizienz – im Vergleich dazu eher ein Langstreckenprojekt? Warum?

Mit den Zielen "Klimaschutz – Wertschöpfung – Ressourceneffizienz" setzt die Charta für Holz 2.0 auf qualitatives Wachstum zur Unterstützung zentraler internationaler, europäischer und nationaler politischer Ziele. Ziel der Charta für Holz im Jahr 2004 war es, den Holzverbrauch in Deutschland pro Einwohner innerhalb von zehn Jahren pauschal um 20 Prozent zu steigern. Die Zielsetzung stand im Zeichen einer unbefriedigenden Nachfrage in den verschiedenen Bereichen der Holzverwendung. Tatsächlich konnte das Ziel der Charta bereits vor Ablauf des gesetzten Zeitraums erreicht werden. Der Forst- und Holzwirtschaft gelang es zudem, die Markteinbrüche infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2007 zu überwinden. Mittlerweile stehen die Sicherung der Rohholzversorgung, Aspekte der Steigerung der stofflichen Holzverwendung sowie der Kreislaufwirtschaft, Material- und Ressourceneffizienz für mehr Klimaschutz und Wertschöpfung im Vordergrund. Die Charta für Holz ist ein Meilenstein im Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung und damit auf das Jahr 2030 ausgerichtet.

Im Konzept der Bioökonomie wird Holz nicht mehr nur traditionellen Anwendungsgebieten wie dem Bau- und Verpackungssektor zugedacht, sondern beispielsweise auch als Basis für Textilien, Kleb- und Kraftstoffe, Medikamente und Nahrungsmittel gesehen. Welche Chancen bieten diese Visionen für die ver- und bearbeitenden Unternehmen?

Das große Thema "Transformation" ist als akutes Erfordernis im Bewusstsein weiter Teile der Gesellschaft angekommen. Die Abkehr von fossilen Rohstoffen hin zu erneuerbaren, biogenen Materialien und das Denken in Kreisläufen werden zunehmend als zentrale Herausforderungen erkannt und verstanden. In den klassischen Bereichen der Holzverwendung sind wir sicher schon auf einem guten Weg. Für die Unternehmen wird es jetzt darum gehen, diejenigen Bereiche abzuklopfen, in denen sich der Naturrohstoff Holz als nachhaltige Alternative für völlig neue Verwendungsmöglichkeiten anbietet. Wir haben im Dezember im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe "Charta für Holz im Dialog", die insbesondere auch Zielgruppen außerhalb des Clusters anspricht, ganz gezielt diese Thematik aufgegriffen und Beispiele präsentiert, die schon heute die Chancen und das Innovationspotential für Holz erkennen lassen. Eines ist dabei wichtig: Nachhaltigkeit und Klimaschutz dürfen nicht auf Argumente im Marketing reduziert werden. Bei jeder Produktentwicklung müssen die Effekte auf Klima und Umwelt als integraler Bestandteil mitbedacht, optimiert und auch transparent gemacht werden.

Nach Ihrem Grußwort veranstaltet der DeSH erstmals im Rahmen des Kongresses die Zukunftswerkstatt, eine Innovationsplattform der Forst- und Holzindustrie. Inwieweit entsprechen solche Konzepte der Idee der Charta? Was erhoffen Sie sich davon?

Eigeninitiative und Engagement der Wirtschaft mit dem Ziel die Zukunftsfähigkeit nachhaltiger Holzverwendung zu stärken entsprechen dem Geist der Charta für Holz als Gemeinschaftswerk und Plattform für den Dialog. Deshalb freut es mich, dass die Branche selbst die Initiative ergriffen hat und solche Ideen entwickelt und umsetzt. Es ist wichtig, sich als Verband mit Zukunftsthemen und Innovationen zu präsentieren. Innovationskraft und Image einer Branche entscheiden nicht nur über die Zukunftsfähigkeit und Attraktivität als Arbeitgeber, sondern sagen auch viel über das Potenzial als strategischer Partner für mögliche Kooperationen mit Unternehmen auch außerhalb des eigenen Sektors aus.

Das Hauptaugenmerk vieler Betriebe liegt aktuell auf der Digitalisierung. Die Charta benennt die Branchenvernetzung als Chance zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Warum?

Die Aufgaben und Anforderungen an Unternehmen werden zunehmend komplexer. Dies kann sich von der Rohstoffversorgung bis hin zur Vorwärtsintegration in der Wertschöpfungskette erstrecken. Durch eine Vernetzung der Marktteilnehmer können Nachteile der Kleinstrukturiertheit der Branche durch Kooperation überwunden und Effizienz- und Effektivitätsvorteile jenseits einzelunternehmerischer Interessen und Konkurrenzsituationen generiert werden. Dazu zählen unter anderem eine verstärkte länderübergreifende Zusammenarbeit, ein intensiverer Transfer zwischen Praxis und Wissenschaft und Forschung oder auch der Dialog und Austausch mit anderen Branchen. Mit ihren Vorzügen für Transparenz, Vernetzung und Betriebsentscheidungen wird darüber hinaus die Digitalisierung immer wichtiger. Von den Beteiligten erfordert dies die Bereitschaft, sich frühzeitig mit neuen Technologien, mit Schnittstellen und Chancen der Datenanalyse, der Datenbereitstellung und des Datenaustauschs auseinanderzusetzen. Technik und Technologieoffenheit ist aber nur eine von mehreren Voraussetzungen. Entscheidend ist das Vertrauen und der partnerschaftliche Umgang zwischen den Akteuren und über Branchengrenzen hinaus.

In der Zukunftswerkstatt werden auch Unternehmen Lösungen präsentieren, die ursprünglich nicht aus der Forst- und Holzwirtschaft kommen. Warum ist der Innovationstransfer aus anderen Disziplinen für die Wertschöpfungskette wichtig?

Wir selbst haben auch den Anspruch, über den Tellerrand zu schauen und beim "Agenda-Setting" Trends, Perspektiven und Herausforderungen für die Zukunft aufzuzeigen. Unsere Veranstaltungsreihe "Charta für Holz im Dialog" ist hierfür ein gutes Beispiel. Unser Ziel: Auch Stakeholder und Zielgruppen außerhalb des Sektors zu erreichen und mit den Akteuren aus dem Cluster Forst und Holz zusammenzubringen. Wir haben solche Impulse 2018 mit dem Thema "Urban Mining", die Stadt als zweites Rohstofflager, gegeben und Ende letzten Jahres gezielt Unternehmen außerhalb des Sektors präsentiert, die sich bewusst, auf der Suche nach nachhaltigen Alternativen zu Plastik und erdölbasierten Materialen, für die Verwendung von Holz entschlossen haben. Diese Markt- und Verbraucherperspektive verbunden mit der Bewertung politischer Zielsetzungen ermöglicht wichtige unternehmerische Weichenstellungen in Bezug auf den Rohstoffeinsatz, beim Produktdesign, in Fragen strategischer Partnerschaften oder der notwendigen Transparenz in puncto Nachhaltigkeit und Klimaschutz.

Welcher Parameter bedarf es, um mittel- und langfristig eine eigene Forschungs- und Entwicklungskultur in der Branche zu etablieren?

Forschung und Entwicklung sind wichtige Erfolgsfaktoren um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und eines ganzen Sektors auszubauen. Dies gilt umso mehr, wenn sich Rahmenbedingungen, wie derzeit zum Beispiel durch die Herausforderungen beim Klimaschutz oder Digitalisierung, ändern und neue Lösungen gefragt sind. Für Branchen wie die Forst- und Holzwirtschaft, mit ihren vielen kleinen und mittleren Unternehmen, ist es wichtig, eine gemeinsame F&E-Kultur zu etablieren, um diesen strukturbedingten Nachteil zu überwinden. Es bedarf dazu "Kümmerer" sowohl in den Unternehmen wie auch in den Verbänden, die diese Aufgabe als strategisches Erfordernis erkannt haben. Dabei gilt es auch die proaktiven Komponenten zu stärken. Ein "Screening" von gesellschaftlichen und politischen Trends und Entwicklungen gehört ebenso dazu wie ein regelmäßiger Austausch mit Wissenschaftseinrichtungen und Hochschulen sowie mit innovationsaffinen Branchen wie der chemischen Industrie und dem Maschinenbau.