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Aufstockung: Themen Eigengewicht und Wohnungsbau

20.12.2016

Der Univ. Prof. Karsten Tichelmann (Technische Universität Darmstadt) ist in leitender Funktion für die VHT - Versuchsanstalt für Holz- und Trockenbau GmbH tätig, eine Forschungs-, Entwicklungs- und Materialprüfanstalt und bauaufsichtlich anerkannte Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstelle. Er kommt auf dem Sägewerkskongress im Experteninterview zum Thema „Aufstockungen“ zu Wort.

In einer bundesweiten Studie für 2015 untersuchten Sie mit Mitarbeitern der Technischen Universität Darmstadt die Wohnraumpotenziale durch Aufstockung. Welche Chancen ergeben sich in diesem Bereich für den Holzbau?

Wir sprechen von mindestens 1,5 Millionen Wohneinheiten auf Wohngebäuden in Deutschland, bei denen Aufstockungen möglich sind. Das ist ein großes Potential und ein Chance für den Holzbau. Das geringe Eigengewicht, die weitentwickelte Montagetechnik im Holzbau und die schnelle Bauzeit sind nur drei der wesentlichen Pluspunkte. Welche Lasten können auf bestehende Gebäude aufgebracht werden? Je leichter ich baue, desto mehr Wohnfläche und Geschosse kann ich auftocken. Andererseits geht es um den Wohnungsbau. Die betreffenden Gebäude sind in der Regel vermietet. Es ist wichtig, die Belastung von Lärmemission oder Schmutzbelastung für die vorhandenen Mieter während der Bau- und Montagezeit der Aufstockung gering zu halten.

Welche Forschung und Entwicklung ist hierfür noch notwendig?

Es ist wichtig, für Aufstockungen und deren besondere Randbedingungen gegenüber einem Neubau abgestimmte und leicht anpassbare Konstruktionen zu erzeugen, die in modularer oder serieller, faltbarer Bauweise erreichtet werden können. Zum Beispiel Holzbausysteme, die sich einfach und flexibel an den Gebäudebestand anpassen lassen. Es braucht Entwicklungsschritte, um passgenau auf bestehenden Gebäuden neuen Wohnraum zu erzeugen. Dafür bedarf es effizienter Bauverfahren für die Aufstockung. Der Holzbau ist hier gut geeignet und vorbereitet und zugleich wirtschaftlich für Bauherrn, da durch die kurze Bauzeit die Mietausfälle während der kurzen Bauzeit gering ausfallen.

Welche staatlichen Anreize könnten aus Ihrer Sicht das Bauen mit Holz weiter voranbringen und was können und müssen Holzwirtschaft und Holzbau tun, um eigene Potenziale auszuschöpfen?

Staatliche Anreize im Zusammenhang mit Aufstockungen sind ein bedeutsames Thema, weil Aufstockungen auch aus gesellschaftspolitischer Perspektive viele Vorteile bringen. Ein Punkt: Der Grundstückswert ist bereits durch den Gebäudebestand amortisiert, dadurch muss der Grundstückswert nicht mehr auf den neuen Wohneinheiten der Aufstockungen und damit auf deren Mietzins umgelegt werden. Und wo bereits dicht gebaut wurde, kann neuer Wohnraum geschaffen werden, ohne dass zusätzliche Grundflächen für das Gebäude, Straßen, Zuwegungen und Infrastruktur versiegelt werden und Außenanlagen neu angelegt werden müssen. Das ist ökologisch und sozial sinnvoll, da man in gewachsenen Quartieren behutsam nachverdichtet, zudem kostengünstig und deshalb förderungswürdig. Ein staatlicher Anreiz in diesem Sinne wäre aus meiner Sicht eine erhöhte Abschreibung für die Investitionen der Aufstockung, zum Beispiel mit mindestens vier oder besser fünf Prozent. Der Holzbau bietet die ideale Bauweise für diese Art von Zielsetzungen. Ihm kämen dadurch diese staatlichen Anreize zugute. Was die Holzwirtschaft selbst tun kann? In dem technischen Bereich des Holzbaus geht es um die kontinuierliche Weiterentwicklung intelligenter Anschlüsse und Fügungen an den Gebäudebestand unter Berücksichtigung von Schallschutz, Luft- und Winddichtigkeit, minimale Wärmebrücken und eine durchdachte Lasteinleitung in den Bestand und darum, solche Elemente möglichst einfach, wirtschaftlich und vorgefertigt zu entwickeln.

Welchen guten Vorsatz sollte sich die Holzwirtschaft für 2017 vornehmen?

Die Holzwirtschaft hat sicherlich schon jede Menge gute Vorsätze und Ziele! Gut ist zweifelsfrei, wenn die Energie für gemeinsame Ziele und Interessen aller Akteure im Holzbau gebündelt und damit Synergien erzeugt würden. Es ist bedauerlich, wenn die Interessen der verschiedenen Beteiligten bei der Wertschöpfung des einzigartigen Baustoffs Holz, von Forst, Sägewerke, Verbänden, Baugewerbe und Handel, auseinanderdriften. Mein Wunsch wäre, diese Energien zu bündeln und zu koordinieren, um noch erfolgreicher zu agieren und die hervorragenden Potenziale auszuschöpfen.

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12. Internationaler Kongress der Säge- und Holzindustrie & 4. AGR Rohstoffgipfel
12.-13. Januar 2017 in Berlin
www.saegewerkskongress.de

Prof. Karsten Tichelmann
Experteninterview und Diskussion
„Ende der Steinzeit: Sind die neuen Märkte für den Holzbau "Selbstläufer" - oder Branchenaufgabe? 
am Donnerstag, 12. Januar 2017 ab 16 Uhr